Klappe

Als >Klappe< werden Toiletten (und ihre Umgebung) bezeichnet, die Männer aufsuchen, um mit Männern Sex zu haben. Die Bedeutung der Toiletten als Ort des Sexes soll im Folgenden im Licht rechtlichen und gesellschaftlichen Wandels nachgezeichnet werden.

Sex auf Toilette WEGEN Verbot

Die Geschichte der Männer-Toilette als >Klappe< ist aufs Engste mit der Geschichte der Urbanisierung und der Geschichte der Homophobie verbunden. Die >Klappe< ist einerseits Ausdruck der Möglichkeit sich in anonymem, flüchtigem Rahmen zu begegnen. Sie setzt eine größere Ansammlung sexwilliger Männer voraus. Die >Klappe< ist andererseits Ausdruck der Unmöglichkeit solche Wünsche ungehindert auszuleben. Im §175 des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich (RStGB) von 1871 heißt es: „Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Thieren begangen wird ist mit Gefängniß zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.“

Die Geschichte der Homophobie beginnt in Deutschland nicht erst mit dem RStGB. Ihm gehen eine lange Reihe Strafgesetze voraus, die allesamt sexuelle Handlungen zwischen Männern verbieten. Die herausragende Bedeutung des RStGB besteht vielmehr in der langen Geltung des Gesetzes. Nach dem Ende des Kaiserreiches besteht das RStGB in der Weimarer Republik fort. Die Nationalsozialisten verschärfen den §175 im Sinne ihrer Ideologie. 1949 werden die größten Teile des RStGB, darunter auch der §175+§175a in der Fassung von 1935, in der Bundesrepublik übernommen.

Bis weit in die Zeit der Bunderepublik hinein, stellen die >Klappen< also die einzige Möglichkeit für Männer dar, mit anderen Männern Sex zu haben. Denn die Toiletten sind eine der einzigen Möglichkeiten, das Verbot des §175(a) zu umgehen. Die Flucht in die Toiletten schützt homosexuelle Männer aber keinesfalls umfassend vor Strafverfolgung. Die Toiletten werden überwacht und >Lockvögel< versuchen Männer mit vorgetäuschten Angeboten zu Straftaten zu verleiten, um sie sogleich festzunehmen. 

Sex auf Toilette TROTZ Verbot

Im Rahmen der Emanzipationsbewegung ändert sich die Lage für homosexuelle Männer erheblich. 1969 wird der §175a gestrichen und der §175 derart geändert, dass nunmehr nur noch Geschlechtsverkehr volljähriger Männer mit minderjährigen Männern bestraft wird. Zudem bleiben erzwungener und gewerbsmäßiger Geschlechtsverkehr unter Männern strafbar. Prostitution unter Männern wird 1973 straffrei. 1993 wird der §175 schließlich gänzlich gestrichen. Denn Kinder schützt ohnehin der §176 vor sexuellem Missbrauch (durch Frauen wie Männer)!

Nunmehr wird es Männern möglich ihre Homosexualität offen auszuleben. Schwule Clubs und Lokale können legal betrieben werden. Toiletten sind nur noch ein Treffpunkt unter anderen. Sie verlieren ihre Bedeutung als Schutzräume vor Strafverfolgung. Dennoch bleiben Toiletten ein bedeutender Treffpunkt für den schnellen, anonymen Sex. Besonders spät in der Nacht, wenn Clubs und Lokale schon geschlossen haben, trifft Mann sich hier.

Allerdings sind mit dem Sex auf Toiletten Ordnungswidrigkeiten und Straftaten verbunden, die nichts mit der Diskriminierung homosexueller Männer und dem abgeschafften §175 zu tun haben. Hierher gehören insbesondere Belästigung der Allgemeinheit (§118 OWiG), exhibitionistische Handlungen (§183 StGB) und Erregung öffentlichen Ärgernisses (§183a). Während einstmals öffentliche Toiletten die einzige Zuflucht vor dem diskriminierenden Gesetz bedeuteten, droht dort nunmehr die Übertretung allgemeiner Gesetze. Die Toiletten werden nicht mehr WEGEN des Verbotes, sondern TROTZ des Verbotes aufgesucht. Bei der Durchsetzung solcher Gesetze werden teilweise dieselben althergebrachten Verfahren angewandt. Das GAB-Magazin berichtete im Oktober 2010 von >Lockvögeln<, die mit vorgetäuschten Annoncen versuchen sexwillige Männer auf Toiletten zu überführen (Berndt: Razzia am Urinal, 10).

„Raus aus den Toiletten! Rein in die Straßen!“

Mit der >Klappe< ist es so eine Sache. Das liegt nicht nur an der prekären Gesetzeslage. Rosa von Praunheim unterzieht den Sex auf der Toilette in seinem umstrittenen Film >Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt.< (1971) einer scharfen Kritik. Hierbei konzentriert er viele widersprüchliche Aspekte:

„Die Toilette ist der bekannteste Treffpunkt für Homosexuelle. Viele Schwule mit Kontaktschwierigkeiten sind gezwungen, auf den öffentlichen Toiletten ihre ersten homosexuellen Erfahrungen zu machen. Mit der Bestrafung der Homosexualität durch die Gesellschaft und den daraus folgenden schlechten Gewissen der Schwulen, haben viele ihr Schwul-Sein bis auf die einfachste Form von Sex beschränkt. Die Männer stehen in dauernder Furcht, entdeckt zu werden nebeneinander und sind gezwungen, wenn sie nach oft langem Warten jemanden gefunden haben, sich sekundenschnell abzureagieren. Die nur auf das Geschlechtsteil gerichtete Beziehung ist für eine große Gruppe von Schwulen die einzige Form der körperlichen Liebe. Sie wandern von einer Toilette zur anderen, dauernd auf der Suche nach Befriedigung, die sie im günstigen Fall nur verstümmelt erlangen. Für die Schwulen selbst steht die Toilette auf der untersten Stufe. Sie geben vor die Pissbuden-Schwulen zu verachten, was sie aber nicht daran hindert, die Pinkelbuden heimlich aufzusuchen, wenn sie in ihren vornehmen Bars niemanden gefunden haben. Hier finden sie Gefallen an den oft maskulinen Arbeitertypen, die kein Interesse haben ihre Geilheit unter Mode und guten Manieren zu verstecken.“

Dem Sex auf den Toiletten haftet etwas Niederes an. Die karge Funktionalität ihrer notdürftigen Einrichtung stehen im Kontrast zu den „vornehmen Bars“. Selbst die Männer, die Mann hier trifft, haben nichts Vornehmes an sich. Von Männern wie Toiletten wird abschätzig geredet. Niemand will offen zugeben hinzugehen. Vielmehr scheint es zum guten Geschmack zu gehören, sich selbst von den „Pissbuden-Schwulen“ abzugrenzen. Trotzdem gehen alle hin, wenn nichts Besseres zu haben ist. Dabei kann hier nur das niederste Bedürfnis befriedigt werden. In der >Klappe< erscheint jeder auf sein bloßes Geschlechtsteil reduziert. Der schnelle Sex ist ohne Verdinglichung und emotionale Verarmung nicht zu haben. Bemitleidenswert erscheinen all diejenigen, deren gesamtes (Geschlechts-)Leben darauf beschränkt bleibt, sich „sekundenschnell abzureagieren“. Diese Verkümmerung deutet Rosa von Praunheim als Fortdauern der alten Gesellschaftsordnung. Die Flucht auf die Toilette entspringt dem „schlechten Gewissen“, das den Schwulen trotz seiner Befreiung fortdauernd unterwirft. So steht am Ende des Films der Appell: „Raus aus den Toiletten! Rein in die Straßen!“ Der Weltflucht ins Innere der verschlossenen Toilettenkabine, wird die Gestaltung einer offenen Zukunft gegenübergestellt. Die >Klappe< erscheint hier als krankhafter Überrest einer vergangenen Zeit. Von Praunheims Darstellung des schnellen Sexes auf der Toilette benennt pointiert und provokant zentrale Widersprüche. Allerdings macht eben dies seine Darstellung auch einseitig. Wichtige Aspekte der >Klappe< werden ausgeblendet, die über das zurecht Kritisierte hinausgehen. Denn es ist nicht die >Klappe< sondern der Mensch, der den Menschen verdinglicht. Ebensogut sind hier Umgangsformen möglich, die Menschlichkeit ermöglichen und fördern. Hierzu gehört das Ausleben und Verwirklichen sexueller Bedürfnisse genauso wie das Knüpfen von flüchtigen und dauerhaften Kontakten oder Freundschaften. Die >Klappe< stellt Monogamie und Ehe infrage. Sie ermöglicht andere Formen des Daseins, Zusammenseins, Zusammenlebens und Zusammenliebens. Zusammenleben und Gesellschaft sind ständigem Wandel unterworfen. Die >Klappe< trägt hierzu das ihrige bei und ist dem Wandel selbst unterworfen. Was sie einmal war und bedeutete, steht keinesfalls für alle Ewigkeit fest.

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