Geschichte

Antike

Die Geschichte der Toilette beginnt mit der Geschichte der Zivilisation, d.h. Spezialisierung und Arbeitsteilung, Urbanisierung, Schriftkultur, Staatlichkeit, Herrschaft und soziale Schichtung. Die älteste, in Scara Brae (Orkney Inseln) gefundene Toilette ist über 6000 Jahre alt (vgl. Möllring: Toiletten und Urinale für Frauen und Männer, 26). Die Regelung menschlicher Ausscheidungen wird dort besonders dringlich, wo sich Bevölkerung verdichtet und große Städte entstehen. Hier reichen natürliche Wasserläufe wie Bäche und die Gräben der Straße nicht mehr aus, um den Unrat aus der Stadt zu schaffen. Die natürlichen Bach- und Flussläufe werden zu Kanälen und schließlich zu Kanalisationen ausgebaut, um ein geregeltes Zusammenleben aufrechtzuerhalten. „Man mauerte eine unterirdische Kloake zur weiträumigeren Aufnahme mehrerer Straßenabflüsse. So fand man aus der Zeit der Hochblüten der Sumerer, im heutigen Irak, um 3800 v.Chr. bereits große Mauerwerkskanäle, die sogar mit einem Gewölbe übermauert werden mussten, weil einfache Balken und Platten wohl nicht ausreichten: Babylon am Euphrat, Kalach am Tigris, Ninive, Karthago, Kreta, Knossos, altindische Städte wie Mohenjo Daro am Indus, Ur in/ Chaldäa, Timgad in Nordafrika, große Ansiedlungen in Altägypten (Abwassertechnische Vereinigung: Lehr- und Handbuch der Abwassertechnik, 2f.).“ In diesem Kontext sind auch die ersten Toiletten mit Wasserspülung (in Mohenjo Daro) belegt. Die Entwicklung der Toilette ist auf solche Weise eng mit anderer Infrastruktur verbunden. Besonders die wassergespülte Toilette ist fest in den hydraulischen Stadtraum eingebunden. Erst im Verbund mit Brunnen, Zisternen, Leitungen, Kanal(-isation) und Badewesen erschließt sich ihre Geschichte. 

Zu- und Abflusssystem

Im römischen Reich wurde auf unterschiedliche Wasserquellen zurückgegriffen, um eine stabile Wasserversorgung der Stadt zu gewährleisten. Besonders bedeutsam ist das Schöpfen von Wasser aus Brunnen. Denn dieses Wasser ist besonders sauber und rein. Darüber hinaus wurde aber auch Regenwasser in Zisternen gesammelt und fließendes Wasser Flüssen entnommen. Erst in der Kaiserzeit kamen vermehrt Aquädukte und Wasserleitungen auf, mit denen Wasser aus fernliegenden Quellen bezogen werden konnte (vgl. Gemma et al.: Roman Toilets, 71). 

Bereits in Roms frühen Jahren wurde der Lauf des Velabrum ausgebaut zur Cloaca Maxima, die im Tiber mündet. Als Vorbilder könnten hierbei die Etrusker gedient haben (vgl. Abwassertechnische Vereinigung, 3). Zu den Technologien die Rom später mit seiner Herrschaft weltweit verbreitete, gehörte auch die Kanalisation. „Überall, wo Rom siedelte, regierte, wachte, entstanden unterirdisch eingefasste Bachläufe. Die Bauverwaltungen von Paris, Köln und/ Trier, den markantesten römischen Festungen an Seine, Rhein und Mosel, weisen heute noch stolz auf diese unterirdischen Baudenkmäler hin. Bath am Avon in England und Aquincum an der Donau (Budapest) dürften kanalisationstechnisch die äußersten Vorposten im Westen und Osten des Weltreiches sein (Abwassertechnische Vereinigung, 3f.).“ Allerdings ist die Kanalisation teuer, wartungsintensiv und störanfällig, besonders wegen ihres rechtwinkligen Profils, indem sich der Unrat leicht verfing (vgl. Gemma et al., 77). Daher wurden selbst in Städten mit bestehender Kanalisation nicht alle Toiletten mit Wasserspülung betrieben. Vielmehr gab man anderen Technologien den Vorzug, wo auch immer es möglich war. 

Toiletten

Die Toilette im privaten Kontext lag häufig vor dem Haus oder Innen, neben Straße und Küche. Verwendete man Wasser zur Spülung, so wurde verschmutztes und benutztes Wasser (aus der Küche) gebraucht. Doch war die Toilette in den allerseltensten Fällen an die Kanalisation angeschlossen. Gebräuchlicher war der Abfluss in den Straßengraben oder die Sammlung der Fäkalien in Jauchegruben. Für die Entleerung der Gruben waren die stercorarii zuständig (vgl. Gemma et al., 147). Hierfür wurden sie vom Besitzer der Grube entlohnt. Außerdem konnten die gesammelten Fäkalien von den stercorarii weiterverkauft werden. Fäkalien wie Urin kamen als Dünger und Medizin zur Anwendung (vgl. Gemma et al., 158). Was auf diese Weise nicht verwertet werden konnte, wurde vor den Toren der Stadt entsorgt. 

Toilettensitze in 1) Athen , 2) Milet, 3) Leptis Magna, 4) Pergamon, 5) Sabratha, 6) Vaison (Neudecker, 50).

Neben oder anstelle einer Toilette im eigenen Haus kamen Töpfe zur Anwendung. Diese nannte man matella (für Männer), scaphium (für Frauen) oder lasanum (vgl. Gemma et al., 95). Sie wurden gleichfalls in die Jauchegrube entleert, zu städtischen Sammelplätzen gebracht oder schlicht aus dem Fenster geschüttet. Für die Reinigung nach dem Toilettengang waren unterschiedliche Utensilien gebräuchlich. Zur trockenen Reinigung wurden Steine, Muscheln oder Scherben verwendet. Papyrus war hingegen zu teuer. Zur Reinigung mit Wasser gebrauchte man schlicht die Hand oder einen Schwamm. 

Toiletten mit laufender Wasserspülung lassen sich in der römischen Antike besonders im öffentlichen Bereich finden: große Toilettenanlagen mit durchschnittlich 40 Sitzen (manchmal sogar bis zu 80) und Anschluss an die Kanalisation, die mit kontinuierlich fließendem Wasser gespült werden (vgl. Neudecker: Die Pracht der Latrinen, 41f.). Bau und Betrieb solcher Toiletten lohnt sich nur an hochfrequentierten und publikumsträchtigen Plätzen.

Grundrisse ausgewählter Prachtlatrinen (Neudecker, 42).

Während diese Großanlagen anfangs funktional und sparsam gestaltet waren, kam zwischen dem 1-4 Jahrhundert n.Chr. eine aufwendigere Bauweise auf, die Neudecker als Prachtlatrinen bezeichnet. Neben besserer Belichtung und Belüftung findet sich auch aufwendige Dekoration in den Prachtlatrinen, wohingegen die wesentlichen technischen Vorrichtungen gleichbleiben. Nicht völlig klar ist die Frage beantwortet, inwiefern Frauen der Zugang zu solchen öffentlichen Toiletten gewährt war. Dagegen spricht, dass Frauen in der Öffentlichkeit nicht gerne gesehen waren (vgl. Neudecker, S. 64 + Gemma et al., S. 118). Zudem wurden die Prachtlatrinen entkleidet benutzt. Allerdings emanzipierten sich die Frauen im Laufe des 1. Jahrhunderts n.Chr. zusehends und waren häufiger auch in Bädern zugegen, wo trotzdem selten die Geschlechter getrennt wurden. Auch war nicht allen Schichten gleichermaßen der Zugang zu den Prachtlatrinen gewährt: „Obgleich der Zugang zu ihnen theoretisch allen offenstand, ermöglichte sich indirekt ein Ausschluss allzu niedriger Bevölkerungselemente, indem der Stadtbereich auf die Belange der besseren Kreise ausgerichtet war und als deren Begegnungsstätte galt (Neudecker, 90).“ So fand durch die Lage der Prachtlatrinen im Kern der Städte eine soziale Auslese statt. Besonders häufig waren die großen Toiletten-Anlagen in der Nähe von Springbrunnen und Bädern gelegen (vgl. Gemma et al., 78ff.). Dies hatte vornehmlich praktische Gründe: das hier verwendete Wasser wurde bei seinem Abfließen für die Spülung der Toilette verwendet, sodass die kostbare Ressource möglichst sparsam (wieder-)verwendet wurde. 

Doch selbst die Pracht der dekorierten, großen Toiletten-Anlagen und Bäder darf nicht mit moderner Hygiene verwechselt werden. Da Baden als heilsam galt, wurde in der Rom Kranken das Baden empfohlen. Das Wasser aber wurde täglich nur einmal gewechselt. Zudem speisten die Gäste im Bad. „Der Boden des Bades war von einer glitschigen Substanz überdeckt, gloios genannt. Eine Kombination aus Schweiß, Öl und Dreck, der im Bad verteilt wurde. Daher kann uns nicht überraschen, dass Plinius der Ältere die Bäder Brutstätte der Kakerlaken nennt (Gemma et al., 159, meine Übersetzung).“ Auch die Situation in den Toiletten war wenig erquicklicher. Die Toilettensitze waren zumeist aus Holz und schwer zu reinigen. Der Fußboden war ständig nass. Die Schwämme zum Reinigen des Gesäßes wurden von den Besuchern womöglich geteilt und schwammen inzwischen in stehendem Wasser (vgl. Gemma et al., 160).

Wandmalerei aus Latrine in Pompeji, Neapel: Museo nazionale (Neudecker, 23). Inschrift: cacator/ cave malum (Scheißer, meide Böses!).

Mittelalter

Zu- und Abfluss

Vor diesem Hintergrund, technischer Errungenschaften und mangelnder Hygiene, werden die Kontinuitäten zwischen Antike und Mittelalter deutlicher. Besonders der Zufluss des Wassers in die Städte entspricht den antiken Verhältnissen: neben der Wasserentnahme aus fließenden Gewässern, dem Auffangen von Trinkwasser in Zisternen und der Nutzung entfernter Quellen durch Verlegung von Wasserleitungen, stellt nach wie vor der Brunnen die wichtigste Wasserquelle dar. Neben der besagten Qualität kommt im Mittelalter ein entscheidender Faktor hinzu: während innerhalb des römischen Reiches Frieden gewahrt wurde (pax romana), mussten die mittelalterlichen Städte im Kriegsfall gerüstet und verteidigungsfähig sein. Brunnen können die Wasserversorgung einer Stadt im Belagerungsfall am besten sicher (vgl. Schott: Europäische Urbanisierung, 110).

Doch finden sich auch einige gravierende Unterschiede, wie das Fehlen von Kanalisationen und öffentlichen Toiletten mit fließendem Wasser. Diese sind jedoch keinesfalls als Rückfall auf eine niedere Kulturstufe oder in tiefe Dunkelheit zu deuten, sondern erhalten ihren guten Sinn durch den veränderten Charakter der Stadt. „Rom zerfiel; mit ihm die größten Städte. Es blieben und blühten die kleinen Märkte und Festungen, deren weite Mauern sich erst allmählich füllten. Sicher ist es eine abwegige,/ irrige Theorie, wenn man sagte, eine einseitige Auffassung des Christentums hätte zu einer Zurücksetzung alles Irdischen, ja zu seiner Geringschätzung und Verachtung geführt. Daher seien Weiterentwicklungen der Abwassertechnik ausgeblieben und ältere, wertvolle Anlagen zerfallen. Sicher ist nur, dass die meisten Verhältnisse dörflich, kleinstädtisch waren. Vielerorts reichte der Festungsgraben als Vorfluter aus […] (Abwassertechnische Vereinigung, 4f.).“ Die fließenden Gewässer und ihre Erweiterung durch (zusätzliche) Kanäle genügen, um den Abfluss von Abfall und Fäkalien zu gewährleisten. Als ab dem 14. Jahrhundert nördlich der Alpen viele Städte ihre Straßen befestigen, wird das Profil zur Mitte abfallend angelegt, sodass Unrat abfließen kann (vgl. Schott 121). So wird auf die Straße geschüttet, was nicht direkt im Fluss landet.

Wer in der Nähe des Flusses wohnt, baut einen sog. Abtritterker in seinem Haus an: „Kleine auskragende Erker enthielten Abtrittsanlagen und entleerten sich zum Teil aus beachtlicher Höhe in den Festungsgraben oder einen Flussarm. Erst später wird dieses zugige Bauwerk durch schräg nach außen führende Fallrohre verbessert. Auch hohle, bis zum Boden herabführende Pfeiler nehmen die Exkremente auf. Alle Wallbebauungen konnten sich diese Konstruktion leisten (Abwassertechnische Vereinigung, 5).“ Ansonsten findet sich in der mittelalterlichen Kleinstadt ähnliches Toilettenverhalten, wie in der antiken Großstadt: Neben Nachttöpfen bleiben Toiletten über der Jauchegrube vor dem Haus gängig, deren Entleerung professionalisiert und kommerzialisiert ist. 

Badewesen

Auch hinsichtlich der Badekultur steht das Mittelalter der Antike in nichts nach. „Baden galt dem Mittelalter als eine der sieben Seligkeiten, wurde so sehr als ein Grundbedürfnis angesehen, dass Handwerker und Gesellen normalerweise für den Samstag oder nach Abschluss ihrer Arbeit ein Badgeld erhielten. Mancherorts räumte man ihnen während der Arbeitszeit Stunden für den Badbesuch ein (Büchner: Im städtischen Bad vor 500 Jahren, 16).“ So etablierten sich unterschiedlichste Formen des Bades: Schwitzbad (bes: in Badestuben), Dusche, Wanne, Kräuterbad, Wildbad (vgl. Fürbeth: Zur Bedeutung des Bäderwesens, 464). Wobei eine unmittelbare Übernahme der römischen Bädertradition nicht stattgefunden hat, da eigene Traditionen und Gebräuche lange bestanden hatten, wie bspw. seit dem Frühmittelalter in den (Vor-)Alpen belegt (vgl. Büchner, 9). Zu einem umfassenden Aufschwung der Städte und des Bäderwesens kam es dann im 12. Jahrhundert. Anfangs erfreute sich vor allem das Dampfbad großer Beliebtheit. Das nötige Wasser wurde zumeist aus Brunnen bezogen. Die Bäder waren am Stadtrand gelegen, wegen der Möglichkeit das Abwasser im Stadtgraben zu entsorgen und wegen der erheblichen Brandgefahr (vgl. Arnold: Baden und Badewesen im Mittelalter, 29). Neben Erholung und Sauberkeit dienten die Bäder auch Vergnügung und Geselligkeit. Das Baden stand unter dem Motto iucunditas animi (Vergnügen der Seele): „Traurigkeit meiden, Heiterkeit suchen und an nichts anderes als Lebensgenuss denken (Studt: Umstrittene Freiräume, 93).“ Das Aufkommen von Badebordellen tat sein Übriges dazu bei, den schlechten Ruf des Bades (zu Unrecht) zu mehren. Ab dem 14. Jahrhundert werden in einigen Städten erste Maßnahmen gegen (vermeidliche) Unsittlichkeit in Bädern ergriffen, Männer und Frauen bisweilen getrennt u.a.m. Ab dem 16. Jahrhundert befanden sich die Dampfbäder schließlich in unwiederbringlichem Niedergang. Zählte Wien im Mittelalter 21 Badestuben, waren es 1534 noch elf, Anfang des 18. Jahrhunderts lediglich sieben. Speyer, das im 14. Jahrhundert neun öffentliche Bäder hatte, besaß im 17. Jahrhundert nur noch eins. Ähnlich in Frankfurt am Main. Um 1500 gab es dort 15 städtische Bäder, 1555 nur noch zwei, die letzte Stube stellte 1809 ihren Betrieb ein (Büchner, 46).“ Allerdings kommen mehrere Gründe hierfür in Betracht. Neben städtischen Verboten, Angst vor Pest und Syphilis, kommen Holzmangel, Verteuerung des Eintrittes und das Aufkommen von Wild-, Wannen- und Privatbädern in Betracht (Fürbeth, 463 + Arnold, 25). Besonders nachteilig wirkt sich diese Entwicklung auf die hygienische Situation der Unterschicht aus. Denn Badestuben stellten ein besonders günstiges und niederschwelliges Angebot zur Körperpflege dar. Hier wurden die Preise nach Einkommen gestaffelt, sodass sich jeder häufige Badebesuche leisten konnte. Ein Privatbad oder Reisen zu weit entfernten Wildbädern hingegen, können sich nur die Wenigsten leisten. Im 17. Jahrhundert kommt Baden überhaupt aus der Mode. Selbst prunkvolle Privatbäder werden teilweise sehr selten genutzt oder dienen gar nur zur Dekoration (vgl. Büchner, 49). Hierbei spielen auch gewandelte hygienische Vorstellungen eine Rolle. Während in der Antike Baden als gesundheitsförderlich gilt, kommen seit dem Ende des 15. Jahrhunderts auch gegensätzliche Meinungen auf: das Baden entziehe Lebenskraft, lasse den Körper erschlaffen und den Organismus verweichlichen. Die Wärme mache Haut brüchig und öffne Poren in die Krankheitserreger leichter eindringen (vgl. Büchner, 52+54). Anstelle des Wachens mit Wasser wird Trockenwäsche und häufiges Wechseln der Wäsche im 17. Jahrhundert vorgezogen (Büchner, 56f.).

Kupferstich von Heinrich Aldegrever nach
einer Zeichnung von Virgil Solis, um 1550 (Büchner, 14).

Weit länger kann sich das Wildbad anhaltender Beliebtheit erfreuen. Das Wasser zum Waschen entspringt hierbei einem natürlichen Quell, sodass ihm wegen subtiler Mineralien und Metalle zusätzliche Heilwirkungen zugesprochen werden (vgl. Fürbeth, 465). Wer genesen will muss sich (mehr oder weniger) strengen Badevorschriften beugen: während zwei- bis sechswöchiger Aufenthalt, vier bis zehn Stunden täglich baden. Zudem Diät und Ruhe halten (vgl. Studt, 86). Dafür versprechen (mehr oder weniger seriöse) Balneologen in ihren Badeberichten die wundersamsten Heilkräfte: „Sie [Quelle in Pyrmont] verzehre Gelbsucht, Gicht, Podagra etc., habe aber auch einem Besessenen den Teufel ausgetrieben, nachdem man ihm das Wasser eingeflößt habe. Durch diese Berichte bewirkte die Schrift, dass der Brunnen in ganz Europa bekannt wurde und innerhalb von vier Wochen 10.000 Menschen den Ort besuchte (Fürbeth, 472).“ Ab dem 13. Jahrhundert suchten Badebegeisterte zuerst naheliegende Quellen auf. Im folgenden Jahrhundert werden dann zusehends größere Reisen und Fahrten zum Wildbaden unternommen, sodass im 15. Jahrhundert bereits ein florierender Wirtschaftszweig entstanden ist (vgl. Fürbeth, 470). Während an neu erschlossenen Quellen die Badegäste unter freiem Himmel schlafen müssen, entstehen mit zunehmendem Betrieb Herbergen und Umbauungen mit teilweise sehr luxuriösen Kammern inklusive Kamin und Toilette (vgl. Studt, 85).

Seine wissenschaftliche Fundierung findet das Wildbaden besonders in italienischen, balneologischen Traktaten des 13. Jahrhundert. Diese greifen explizit auf eine römische Tradition zurück, wo dem Baden wie gesagt ein Ehrenplatz im medizinischen Diskurs gebührt. Besonders bekannt und beliebt ist die naturalis historia (Geschichte der Natur) Plinius des Älteren († 79 n.Chr.), von der 200 Handschriften bis zu ihrem ersten Druck 1469 überliefert sind. Celsus († 50 n.Chr.) und seine Abhandlung über die Medizin (de medicina) war jedoch lange vergessen, bis sie von Antonio Beccadelli (1462, briefliche Erwähnung), Thomas de Sarzana und Papst Pius V. wiederentdeckt wurde (vgl. Schulze: Heilquellen, 126).

Antike Heil- und Wunderquellen. Lage nach Plinius, nat. 31,1-61 (Schulze, 121).

Vom Mittelalter zur Moderne: Fallstudien

Frankfurt

Die Entwicklung der hygienischen Situation zwischen Mittelalter und Moderne ist von widersprüchlichen Tendenzen bestimmt. Der Niedergang des städtischen Badewesens zeugt eher von zivilisatorischem Rückschritt. 1387 existierten in Frankfurt 29 Badestuben, bei einer Gesamtbevölkerung von 9632 Einwohnern. Um 1500 noch 15, 1555 nur noch 2 (s.o.). Die Reinlichkeit der Stadtbewohner ging zurück. Doch wurden zugleich Maßnahmen ergriffen, die die Sauberkeit der Städte selbst, ihrer Straßen und Plätze erheblich verbesserten (vgl. Manger, 55). Letzterer Entwicklung soll am Beispiel der Stadt Frankfurt am Main nachgegangen werden. 

Im Jahr 862 ist die Abwasserbeseitigung in dem Graben vor der Karolinger Mauer, dem sog. Braubach belegt. Der Braubach wurde, wie das Graben- und Kanalsystem überhaupt, mit der Zeit und den Erweiterungen der Stadt (bes. 14. und Anfang 19. Jahrhundert) kontinuierlich ausgebaut und 1363 erstmals als Aduche (vermutlich von aquae ductus), später als Antauche bezeichnet. Die Antauche führte zu dieser Zeit bereits 23 Abflüsse in den Main und blieb seitdem die Hauptkloake (vgl. Schäfer: Straßenreinigung und Kanalisation, 4ff.). In der Staufischen Burg wurde sogar eine Kanalisation ausgegraben, die auf das 13. Jahrhundert datiert, später aber wieder zugemauert worden ist (vgl. Manger, 30). Wegen der Möglichkeit Abwassers in die Antauche, nahe Bäche, Gräben, Kanäle zu entsorgen, war kein Bedarf für eine Kanalisation gegeben. Da nicht neben jedem Haus ein Bach gelegen war, wurden Zuläufe angelegt, sog. Traufgässchen: „Durch diese kleinen Gässchen, die zwischen den Häusern lagen, davon gab es 80 Stück in der Altstadt, flossen das Regenwasser und die Küchenabwässer auf die Straße bzw. in die Abwasserkanäle. Dass dann später sogenannte Grabenfeger eingestellt wurden, die nichts anderes zu tun hatten, als die Wälle, Gräben und Ablaufrinnen freizuhalten und zu säubern, ist ebenfalls belegt (Manger, 35).“ Neben den Grabenfegern taucht 1328 zum ersten Mal die Berufsbezeichnung Bornfeger auf, um Menschen zu bezeichnen, die für die Reinigung der Brunnen zuständig sind (vgl. Manger, 6). 1400 erlässt der Rat der Stadt Frankfurt eine Regelung zur Säuberung der Kanäle, die sich alle 20-25 Jahre schriftlich bezeugt lässt (Manger, 32). Diese war nötig geworden, da die Gässchen, Gräben und Kanäle wegen der Abfälle leicht verschlammten und verstopften. 1468 musste die Antauche mit Dielen ausgelegt und mit Schutzbrettern abgedeckt werden (vgl. Schäfer, 6). 

Bei der Versorgung mit Toiletten ergab sich, wie anderen Orts, ein grundsätzliches Problem: wurden die Fäkalien in einer Jauchegrube gesammelt, musste diese alle 20-40 Jahre entleert werden, wobei hohe Kosten entstanden. Daher wurden die Fäkalien überwiegend in die (Straßen-)Gräben oder Kanäle geworfen. Aus dem Jahr 1437 ist ein Gesetz erhalten, dass für die Entleerung der Fäkalien in den Main vorschreibt, diese habe von der Mainbrücke aus zu geschehen. Bereits im Jahr 1330 wird im städtischen Konfessbuch ein Schizhusfeger (Fr. Hilla) erwähnt, die mit der Säuberung öffentlicher Toiletten betraut ist. Solche öffentlichen Toiletten sind schriftlich belegt an der alten Brücke (1348), Bockenheimer Pforte (1377) und Messe (1383). Zudem bestehen weitere Toiletten, die nicht eindeutig der öffentlichen oder privaten Sphäre zuzuordnen sind, am Spital und an der Bornheimer Pforte (vgl. Manger, 39f.). Allerdings wurde zur Beseitigung der Fäkalien mancher Ort genutzt, der erhebliche Probleme für die hygienische Situation mit sich brachte. „Der Klosterbau des Weißfrauenstiftes lag an der westlichen Ecke der ersten Befestigungsanlage. Umflossen wurde das Gebäude von der Antauche. Es lag so nahe an der Stadtmauer, dass zwischen dieser und dem Stift nur ein ganz schmaler Raum, der sog. Zwinger blieb. Dahin wurde nun aller Abfall aus Haus und Küche geworfen und die Eimer mit den Exkrementen geleert (Schäfer, 19).“ Dort sammelte sich der Unrat jahrelang und verpestete die Luft im Stift. Bei schlechtem Wetter lief der Zwinger häufiger über, sodass der Unrat in den Stift zurückfloss. Als 1660 eine große Reinigung des Zwingers stattfand, zog sie sich über sieben Nächte hin. Eine weitere, fatale Sitte war die Ableitung der Abwässer und Fäkalien in Sümpfe und Moraste in Stadtnähe, auch >Weeden< genannt. Das besonders unhygienische und infektiöse >Pestilenzloch< an der östlichen Stadtmauer (heute: nahe der Klingerschule) wurde erst Ende des 18. Jahrhunderts trockengelegt (vgl. Schäfer, 15).

Früh begann die wachsende Stadt besonders schmutzige Gewerbe außerhalb der Altstadt anzusiedeln. Zwischen 1376 und 1386 versuchte der Stadtrat das Schmiedehandwerk auszusiedeln. 1400 und 1402 folgten Aufrufe an die Fassbinder, sich in der Bendergasse niederzulassen. 1401 wurde der Betrieb von Ölmühlen innerhalb der Altstadt verboten, 1491 folgten Brauhäuser, 1494 das Leimsieden, Lohgerberei, Weißgerberei und die Pergament-Produktion (vgl. Manger, 47). Ein Dauerproblem blieb allerdings die Schweinehaltung. Vieh lief im Mittelalter frei umher und trug so das Seinige zur starken Verschmutzung der Straßen bei. Die Regulierung der Schweinehaltung ist erstmals 1349 belegt. Neben der Beschränkung der Anzahl von Schweinen, die gehalten werden durften, ging es immer wieder auch um ihre Beaufsichtigung (Manger, 48f.).

Ein weiteres, erhebliches Problem in mittelalterlichen Städten war der Zustand der Straßen. Sie waren größtenteils unbefestigt, sodass man bei Regen und zunehmender Verschmutzung im Morast versank. 1399 wurde die Allerheiligengasse gepflastert. 1416 folgte der Liebfrauenberg (vgl. Manger, 29). Im Verlauf des 16. Jahrhundert werden eine Reihe weiterer Straßen gepflastert: 1517 das Mainufer, 1519 die Schäfergasse, 1573 der Domplatz und am Ende des Jahrhunderts die Zeil (vgl. Schäfer, 12). Diese Art Straßen zu befestigen, bleibt die vorherrschende Praxis, bis 1838 in Frankfurt erste Versuche mit einer Straßendecke aus Asphalt gemacht werden (vgl. Schäfer, 27). Einen weiteren Beitrag zur Verbesserung des Straßenzustandes und zur Entlastung des Abflusssystems stellt die Müllabfuhr dar. „Überhaupt war offenbar im 15. Jahrhundert eine geregelte Müllabfuhr vorhanden. Von jedem Bürger wurde ein >Dreckgeld< erhoben und aus diesen Mitteln die öffentliche Abfuhr mittels/ eines Dreckwagens bewerkstelligt. Dieser Wagen fuhr regelmäßig zu bestimmten Zeiten, vor jedem Haus sollte beim Aufladen geholfen werden (Manger, 28f.).“ Wegen des hohen Aufkommens etablieren sich neben dieser öffentlichen Abfuhr jedoch im Laufe der Zeit private Reinigungszusammenschlüsse. Als 1873 das städtische Fuhramt eingerichtet wird, verrichten immer noch Pferdekutschen die Abfuhr des Unrats. Doch bis in die 1920er Jahre erfolgt eine erhebliche Modernisierung der Organisation und erste motorisierte Müllwagen kommen zum Einsatz (vgl. Schäfer, 34). 1954 wird das Stadtreinigungsamt sogar ein eigenes Dezernat und umgebaute Wehrmachtfahrzeuge werden zur Abfuhr genutzt. 1965 entsteht eine Abfallverbrennungsanlage in der Nordweststadt (vgl. FES: Unternehmenschronik). Zur selben Zeit beginnt in Frankfurt auch die Ablösung der alten Abflusssysteme durch eine moderne Kanalisation. 1863 wird zu diesem Zweck eine Kommission gegründet, zwei Jahre später das Bauvorhaben genehmigt. 1867 beginnt der Bau unter Leitung William Lindleys, der u.a. auch für die Kanalisation in München, St. Petersburg, Prag und Moskau zuständig war. Sehr ungewöhnlich ist der frühzeitige Einbau einer Kläranlage in die Frankfurter Kanalisation. „Frankfurt war 1887 eine der ersten europäischen Städte, die sich zur Anlage von Klärbecken für die Abwässer entschlossen. Diese lagen damals etwa 4,5km unterhalb der Stadt am Westrand des Vororts Niederrad (Schäfer, 32).“

München

Am Beispiel der Stadt München lässt sich hervorragend die Bedeutung der Kanäle im Mittelalter und der langsame Übergang zur Kanalisation in der Neuzeit nachvollziehen. Seit Anbeginn wurde in München vom Wasser der nahen Isar ausgiebiger Gebrauch gemacht, obwohl ihr Wasserstand heftigen Schwankungen unterworfen ist. Im Sommer führte die Isar häufig nur wenig Wasser. Fluten drohten immer wieder besonders bei Tauwetter (vgl. Winiwarter et al.: Munich’s early modern waternetwork, 282). Der Wasserfluss der Isar und ihrer Seitenarme wurde weiter verzweigt durch künstliche Kanäle, sodass im Laufe der Jahre ein immer komplizierteres und feingliedrigeres Wassersystem entstand, dass der gesamten Stadt direkten Zugang zu Wasser verschaffte. Insbesondere im 12. Jahrhundert entstanden neue Techniken, die Wasserkräfte für Handwerk nutzbar machten, v.a. beim Walken und Gerben (vgl. ebd., 282). Neben dieser handwerklichen Verwendung der Wasserkraft, wurde das weit verzweigte Kanalsystem im Strom der Isar besonders für den Abfluss von Fäkalien und Müll, für den Transport von Gütern und Holz, für den Fischfang, für das Feuerlöschen, für die Versorgung der Bäder und für den Antrieb von Mühlen nutzbar gemacht (vgl. ebd., 283ff.). Anfang des 18. Jahrhunderts war der Höhepunkt des prä-industriellen, hydraulischen Kanalsystems erreicht. Beinahe jeden Lebensbereich bestimmte die Kraft des Wassers. Doch auch während der Industrialisierung wurde weiter vom etablierten Kanalsystem profitiert. 1869 bestanden 98 unterschiedliche Kanäle, Bäche, Ströme (ebd., 290). Erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts begann der nahezu vollkommene Rückbau aller Kanäle und ihre Ersetzung durch unterirdische Kanalisation (ebd., 280).

München, die Isar und abgeleitete Stadtbäche um 1800 (Winiwarter et al., 281)

Angesichts dieser intensiven und umfassenden Nutzung der Wasserkraft, kann es kaum verwundern, dass es mit zunehmender Population zu zahlreichen Nutzungskonflikten kam. 1173 lebten innerhalb der ersten Stadtmauer noch 2.500 Menschen (ebd., 283). 1500 waren es bereits 14.000 (ebd., 283). Da das Grundwasser in Brunnen wegen der Jauchegruben stark verschmutzt war, kam es bereits 1422 und 1471 zum Bau von Wasserleitungen, die Wasser aus Quellen in den Bergen zur Stadt transportiert (ebd., 285). 1511 wurden Wasserspeicher erbaut, die durch ein Leitungssystem mit den Häusern verbunden waren. Doch wurde die Verschmutzung der Isar durch Abfälle und Fäkalien zunehmend zum Problem. Dies führte im 17. Jahrhundert zu heftigen Auseinandersetzungen, die allerdings keine Lösung herbeiführten (ebd., 287). Im 19. Jahrhundert begann schließlich die Auseinandersetzung um eine unterirdische Kanalisation (ebd., 289). In heißen Sommern versagte der Abfluss des Abfalls und der Fäkalien total. Zudem kam es zu zunehmenden Belastung durch neue Industrien (ebd., 291). Ab 1811 wurde an einer Kanalisation gebaut, die aber weiterhin ungefiltert in die Isar abfloss. 1836, 1854, 1873 kam es dann in München zu einschneidenden Ausbrüchen der Cholera (ebd., 291). Selbst das Oktoberfest musste abgesagt werden. 1864 erließ die Regierung ein Verbot Chemikalien in der Isar zu entsorgen, das allerdings bereits 1877 wieder aufgehoben wurde. 1881 erhielt Joseph Gordon den Auftrag zum Ausbau der Kanalisation (ebd., 292). Erst 1926 nahm die erste Kläranlage ihren Betrieb auf.

Moderne

Entstehungsbedingungen der wassergespülten Toilette

Bettina Möllring identifiziert in ihrer Dissertation >Toiletten und Urinale für Frauen und Männer< (2003) wesentliche Entstehungsbedingungen der modernen Toilette mit Wasserspülung: 1) die veränderten Vorstellungen und medizinischen Erkenntnisse der Hygienebewegung um 1900, 2) der Ausbau eines zuverlässigen (Ab-)Wassersystems, d.h. Wasserversorgung, Kanalisation und Wasseraufbereitung, 3) die Entwicklung neuer Produktions- und Verkehrsverhältnisse, insbesondere industrielle Massenproduktion, entstehende Konsumgütermärkte und globalisierte Weltwirtschaft (vgl. Möllring, 40ff.). An ihrer Analyse orientieren sich meine folgenden Darstellungen.

1) Hygienebewegung: Die Hygienebewegung entstand vor dem Horizont extremer Verschärfung der unhygienischen Zustände in den europäischen Großstädten des 19. Jahrhunderts. Infolge der Industrialisierung flüchteten die Menschen vom Land auf Suche nach Arbeit und waren bereit in den explodierenden Städten jeden noch so miserablen >Wohnraum< zu behausen. „Die Straßen selbst sind gewöhnlich ungepflastert, höckerig, schmutzig, voll vegetabilischen und animalischen Abfalls, ohne Abzugskanäle oder Rinnsteine, dafür aber mit stehenden, stinkenden Pfützen versehen. Dazu wird die Ventilation durch die schlechte, verworrene Bauart des ganzen Stadtviertels erschwert, und da hier viele Menschen auf einem kleinen Raume leben, so kann man sich leicht vorstellen, welche Luft in diesen Arbeiterbezirken herrscht (Engels: Lage der arbeitenden Klasse in England, 259).“ Bei der näheren Beschreibung eines Innenraumes dieser >Wohnungen< wird noch deutlicher wie schlecht es um Hygiene und Notdurft bestellt ist: „Ein Teil des Fußbodens im Zimmer war aufgerissen, und das Loch wurde von der Familie als Abtritt benutzt (Engels, 262).“ Lebten 1850 in London noch 2,6 Millionen Menschen, so waren es 30 Jahre später bereits 4,8 Millionen. Die Entwicklung des städtischen Raumes entsprach diesem Zuzug in keinerlei Weise, insbesondere die hygienische Situation. Die Infrastruktur in den Städten entsprach im Wesentlichen noch der mittelalterlichen Kleinstadt. Unrat und Fäkalien wurden noch auf der Straße und in Flüssen und anderen Gewässern entsorgt, die angesichts der steigenden Bevölkerungszahlen kollabierten. So breiteten sich Cholera und Typhus ab 1831 in ganz Europa aus. Doch erst nachdem die Krankheit von den Armen- auf die Reichenviertel übergriff, wurde die Lösung dieses Problems angegangen. 1845 entwickelte der Londoner Arzt John Snow Hypothesen über den Ursprung der Krankheit in kontaminiertem Wasser. Doch diese konnten erst 1883 von Robert Koch begründet und bewiesen werden, als er den Cholera-Erreger isolierte. So kam es langsam zu einer Ablösung des Paradigmas vom Miasma. Dabei war lange angenommen worden, Ansteckungsstoffe würden durch schlechte Luft und Gerüche transportiert. 

2) Kanalisation: Zur selben Zeit wurden die technologischen Voraussetzungen für die Installation eines städtischen Abwassersystems entwickelt. Im 18-19. Jahrhundert wurden Pumpsysteme erfunden, die Dampfmaschinen betrieben. Die Weiterentwicklung der Eisenwalztechnik zu Beginn des 19. Jahrhunderts ermöglichte die Fertigung kompakter wie stabiler Rohre. So kamen ab 1810 in London Dampfpumpen zur Leitung des Abwassers zur Anwendung, 1840 eine Druckwasserleitung. Doch wurde das Abwasser nach wie vor in die Themse gespült. Erst 1865 kam es zur nachtäglichen Einrichtung der Wasserklärung (vgl. Möllring, 91).

3) Entwicklung des Wasserklosetts (WC) in England: Bereits 1589 entwarf John Harington ein erstes Klappenklosett mit Wasserspülung. Doch erst im 19. Jahrhundert gelang die massentaugliche Weiterentwicklung seiner Pionierarbeit. Eine Vielzahl verschiedener Verschlussformen wurde entwickelt und zahlreiche Patenten beantragt. 1851 fand die erste internationale Waren- und Leistungsschau in London statt. Auf der Great Exhibition errichtete Georg Jennings eine öffentliche Bedürfnisanstalt, in der seine Kolbenklosetts und Urinale installiert wurden. Obwohl für die Nutzung ein Entgelt in Höhe eines Pennys erhoben wurde, nutzen 827.280 Besucher:innen sein Wasserklosett (vgl. Möllring, 46)

Jennings Kolbenklosett (BBC: London’s long-term lav affair. A history of public toilets in the capital, online: https://www.bbc.com/news/uk-england-london-59785477).

Toiletten im privaten Raum: Verhäuslichung

1) Toilette außerhalb des Hauses: Bevor das WC Einzug in die Haushalte fand, war die Toilette außerhalb des Hauses gelegen. Sie bestand im Wesentlichen immer noch aus einem einfachen Loch im Boden, wie es in Antike und Mittelalter Usus war. Auch der Nachttopf blieb beliebt. Der Verkauf der gesammelten Fäkalien an Landwirte war bis zuletzt ein einträgliches Geschäft, wegen dem sich im 19. Jahrhundert vielerorts Unmut und Widerstand gegen den Anschluss der Haushalte an die Kanalisation regte. „Mit Kot wurde wie mit Geld gerechnet, was ihm einen ganz anderen Stellenwert gab als heutzutage. Die Gegner der Kanalisation stellten daher ganze Kotmengenbilanzen auf, um gegen deren drohende Einführung zu protestieren und zu zeigen, dass die Neuerungen zu kostspielig seien und sich nicht rechneten – allerdings erfolglos. Kontrahierungs-, Anschluss- und Abnahmezwang sorgten dafür, dass sie diese Finanzquelle verloren und im Gegensatz dazu auch noch für die/ Abgabe ihrer Fäkalien selber bezahlen mussten, anstatt wie bisher entlohnt zu werden. Es war bald verboten, Kot und Urin in Hausnähe zu sammeln. Das Zurückbehalten wurde bestraft, da die alleinigen Eigentumsrechte nun bei der Stadtverwaltung lagen.“ (Berg und Lämmle: Die öffentliche Toilette als Zivilisationsprodukt, S. 29f.)

2) Vom Treppenhaus in die Wohnung: Mit dem Anschluss an die Kanalisation und dem Verbot Kot und Urin in Hausnähe zu sammeln etablierte sich das WC im privaten und öffentlichen Raum. Wegen der notwendigen Wasserleitungen, dem Schutz vor Frost, Witterung und ihrer sonstigen Einbindung in den Haushalt, wurde die Toilette nunmehr im Haus untergebracht. Zuerst installierte man die WCs außerhalb der Wohnung, zumeist im Treppenhaus. Doch lief dem das immer umfassendere Schamgefühl zuwider, d.h. die „Angst vor der sozialen Degradierung“ (Elias, Über den Prozess der Zivilisation (Bd.2), 397). Gerade Verrichtungen, die mit den niederen körperlichen Verrichtungen zu tun haben, wie der Toilettengang, werden im Laufe des Zivilisationsprozesses zu Gegenständen der Scham. Obwohl solche niederen Verrichtungen für alle Menschen notwendig bleiben, möchte man sie weder zu sehr betonen noch dabei beobachtet werden. „Und erst, wenn die ständischen Mauern fallen, wenn die funktionelle Abhängigkeit aller von allen noch stärker wird und alle Menschen in der Gesellschaft sozial um einige Stufen gleichwertiger, dann erst wird allmählich eine solche Entblößung […] zu einem Verstoß […] (Elias, 403).“ Besonders in Gesellschaft Gleicher, deren Urteil und Missgunst man fürchtet, vor denen man nicht unterlegen erscheinen möchte, soll nichts Unterlegenes oder Niederes augenscheinlich werden. Gerade in beengten städtischen Verhältnissen, in großen Mietshäusern mit vielen Parteien, muss die Toilette also in der eigenen Wohnung verschwinden. „Die vollständige Einhausung der vordem selten, gelegentlich oder gar nicht verborgenen Verrichtungen, ihre Verlagerung in >Aborte<, das Ausstatten sämtlicher städtischer Häuser mit Aborten und schließlich das Verbergen der Entleerungen auch auf Straßen und Plätzen, diese Prozesse, die die Städter zu einem sozial genaueren Ordnen der körperlichen Selbstkontrolle zwingen, vollziehen sich in wenigen Generationen (Gleichmann: Verhäuslichen, 64).“ Die Geschichte des WCs beginnt mit dem städtischen Ausbau der Kanalisationen im 19. Jahrhundert. Die Einhausung des WCs vollzieht sich rasant in den Städten. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist das WC im Badezimmer aus vielen Neubau nicht mehr wegzudenken. Anfangs war die Einrichtung eines WCs selbstverständlich noch eine luxuriöse Angelegenheit. Doch auf dem Konsumgütermarkt etablieren sich schnell neue, standardisierte, preisgünstige Massenprodukte.

Das WC etabliert sich nicht aller Orts zugleich. In Deutschland beispielsweise ist besonders in ländlichen Regionen lange kein WC zu finden gewesen. Hier bleibt der Abort vor dem Haus und ohne Wasserspülung. „Jede Tagelöhnerfamilie verfügte hinter dem Stall über einen Abort mit untergestelltem Eimer, der fortgetragen und irgendwo ausgeschüttet wurde, sobald er überquoll. Noch heute sehe ich die metallisch blitzenden Schmeißfliegen und in der Jauche dümpelte schwerfällige weiße Maden, die ihre Nahrung dort fanden. Menschliche Fäkalien boten besonders an Sommertagen, samt derben Misthaufen und anderen Fäulnisquellen, eine spezifische Note. Um die Häuser hing permanent der Gestank von Urin, da nach Einbruch der Dunkelheit sich kaum jemand zum entfernten Abort vortastete oder dafür die tragbare Stalllaterne entzündete; Petroleum war zu teuer. So verrichteten die meisten ihre Notdurft, wenn es irgendwie ging, nahe der Haustür, um das Volumen des Familiennachttopfes einzuhalten. Das Dorf war nämlich während der dreißiger Jahre [des 20. Jahrhunderts] noch nicht elektrifiziert. Die Gutsherren freilich erstanden diese technische Errungenschaft, die Tagelöhnerkaten aber blieben ohne Strom.“ (S. 87)

Auch heute ist vielerorts noch kein WC zu finden. Dies bedingen globale Ungleichheiten. 3,6 Milliarden Menschen weltweit hatten im Jahr 2022 keinen Zugang zu hygienischen Toiletten. Um auf diesen Mangel hinzuweisen, haben die Vereinigten Nationen 2013 den 19.November zum Welttoilettentag erklärt.

Toiletten im öffentlichen Raum

In der Moderne erlangt die öffentliche Toilette eine neue Bedeutung. Diese Neuerung geht mit der Verhäuslichung der privaten Toilette einher. Solange die Toilette im Hof gemeinschaftlich genutzt wurde, war immer eine Möglichkeit gegeben, der Notdurft Abhilfe zu verschaffen. Dies änderte sich durch die Verhäuslichung der Toilette. Zudem wurden die Wege in den anwachsenden Städten immer größer, sodass immer längere Zeit außerhalb des eigenen Hauses verbracht werden musste. Die Städte sollten reinlicher werden, die Straßen gepflastert, geteert und regelmäßig gesäubert. Auch das zunehmende Schamgefühl widersprach dem >wilden Urinieren< und Entblößen in der Öffentlichkeit, wie es lange üblich gewesen war, ohne Anstoß zu erregen. So erwuchs ein Bedürfnis nach öffentlichen Bedürfnisanstalten.

Dem Ausbau sog. Vollanstalten, die wie das Eigenheim mit WCs für beiderlei Geschlecht ausgestattet waren, ging die Ausstattung der Städte mit Pissoirs voraus. Den Bedürfnissen von Frauen wurde zuerst also wenig Beachtung geschenkt. Ein Vorreiter hierbei war die Stadt Paris, in der bereits 1848 die ersten Pissoirs aufgestellt wurden. Dieses Angebot wurde während Haussmanns >Transformation de Paris< ab 1853 erheblich ausgebaut. Dabei wurde besonderer Wert daraufgelegt, die entblößten Körperteile zu verhüllen. Das Vespasienne, ein zweiständiges Straßenpissoir, umschließt den urinierenden Mann vollständig. Sein Erfinder Philibert de Rambuteau wollte den Pissoirs nicht seinen eigenen Namen geben. So benannte er sie nach dem römischen Kaiser Vespasian (9-79 n.Chr.), dem die Einführung einer Urin-Steuer und die Prägung des Spruches >Geld stinkt nicht (pecunia non olet)< zugeschrieben wird (vgl. Gemma et al., 153). Mit der Ausscheidung wird nichts Gutes verbunden. Darum will niemand mit ihr verbunden werden. Auch dem berühmten, gusseisernen Berliner Café Achteck, dass um 1900 verbaut wurde, soll man nicht ansehen, wofür es gemacht ist oder was darin von wem gemacht wird. So verwundert die Geringschätzung nicht, mit der die Stadt Berlin ihren achteckigen Cafés lange Zeit begegnete: „1993 war die Bilanz, dass von den immerhin 19 Rotunden, die Krieg und Stadterneuerungen überstanden hatten und sechs Jahre zuvor auch größtenteils noch betrieben worden waren, mittlerweile die meisten entfernt oder geschlossen und notdürftig mit Bauzäunen abgesperrt worden waren. Nur zwei der bis heute nicht unter Denkmalschutz gestellten Pissoirs wurden renoviert.“ (Möllring, 99)

Vespasienne, Rue de Rennes und Café Achteck (Möllring, 98f.).

Bald wurden die Pissoirs durch die Einrichtung der Vollanstalten obsolet. In den Vollanstalten bestand anfangs keine Trennung der Geschlechter. Allerdings entstand bereits kurze Zeit nach Etablierung der Vollanstalten eine zunehmende Differenzierung. Neben getrennten Abteilungen für Frauen und Männern wurde des Öfteren zwischen zwei Klassen unterschiedlichen Komforts und Ausstattung unterschieden. Zudem wurde bei der Erhebung des Entgeltes zwischen der Nutzung des WCs und des Pissoirs unterschieden, wobei letzteres unentgeltlich benutzt werden durfte. Für Frauen wurde ein unentgeltliches WC eingerichtet, das nur für das Urinieren genutzt werden sollte. Da diese strikte Beschränkung aber schwer zu kontrollieren war und aus Geldnöten häufig unterlaufen wurde, verschwand es schnell allerorts. Neben dem Kassieren des Entgeltes hatten die Wärterinnen der Vollanstalten die Reinigung, Beleuchtung, Heizung und den Verkauf von Hygieneartikeln zu besorgen. Doch wurde ihre Arbeit wenig wertgeschätzt. Neben schlechter Bezahlung und 16-stündigem Arbeitstag waren die Wärterinnen in München 1902 weder durch Kündigungsschutz gesichert, noch genossen sie irgendeinen Urlaubsanspruch (vgl. Möllring, 101). Die Arbeit in den Anlagen war so wenig angesehen, wie ihr Gebrauch und alles andere, was sich in ihrem Inneren abspielte. So wurde seit dem Aufkommen der Vollanstalten versucht sie verschwinden zu lassen. Dies geschah entweder durch die Integration in andere Bauten oder unterirdische Konstruktionen. Hiermit gingen bald aber erhebliche Probleme einher, da die verborgenen Anlagen bald zu allerlei verwendet wurden, was sich nur im Verborgenen abspielen kann. Sie entwickelten ihr Eigenleben und wurden bald besonders von Randgruppen wie Drogenkonsument:innen, Wohnungslosen, Prostituierten und Homosexuellen aufgesucht. Dies verschlechterte ihren Ruf abermals und trug, neben den erheblichen Kosten für die Reinigung und Instandhaltung, zu ihrer reihenweisen Schließung ab den 1970er Jahren bei (vgl. Berg und Lämmle, 49f.). Beiden Problemen, der Zweckentfremdung durch Randgruppen wie den hohen laufenden Kosten, verspricht eine technische Neuerung Abhilfe zu verschaffen. Als erstes Unternehmen entwickelte die JCDecaux-Gruppe seit den 1980 Jahren Systemtoiletten. Diese vollautomatisierten Vollanstalten sind zumeist freistehend installiert, optisch auffallend gestaltet, selbstreinigend und besonders vandalismussicher. Zudem besteht in den Anlagen, die zumeist aus einer einzelnen Kabine bestehen, keine Trennung zwischen Mann und Frau. Hiermit sind die öffentlichen Bedürfnisanstalten aber auch zu hochgradig kommerzialisierten, privatwirtschaftlich betriebenen Komplettpaketen geworden. Kommunen haben heute die Auswahl zwischen einer Vielzahl unterschiedlichster Anbieter und Modellen. 

 

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